Ovid, Buch I: Metamorphosen 713-750 (Deutsche Übersetzung) – Jupiter und Io (II)
Lateinischer Text | Übersetzung |
(713) talia dicturus vidit Cyllenius omnes subcubuisse oculos adopertaque lumina somno; supprimit extemplo vocem firmatque soporem languida permulcens medicata lumina virga. nec mora, falcato nutantem vulnerat ense, qua collo est confine caput, saxoque cruentum deicit et maculat praeruptam sanguine rupem. Arge, iaces, quodque in tot lumina lumen habebas, exstinctum est, centumque oculos nox occupat una. Excipit hos volucrisque suae Saturnia pennis collocat et gemmis caudam stellantibus inplet. | (713) Als er davon erzählen will, sieht Cyllenius (Beiname Merkurs nach seinem Geburtsort, dem Gebirge Cyllene im Nordosten Arkadiens), dass alle Augen zugefallen und die Augenlichter durch den Schlaf geschlossen sind; sofort dämpft er die Stimme und verstärkt den Tiefschlaf, indem er die matten Augen mit der Zauberrute berührt. Ohne Zögern verletzt er den Nickenden mit einem gekrümmten Schwert – da, wo der Kopf an den Hals grenzt, stürzt den Blutenden vom Steinblock und besprenkelt den steilen Felsen mit Blut. Da liegst du, Argus, und was du an Licht in so vielen Augen hattest, ist erloschen und hundert Augen deckt eine einzige Nacht. Saturnia (Juno) liest sie auf, setzt sie auf die Federn ihres Vogels (Pfau) und füllt seinen Schwanz mit sterngleichen Edelsteinen an. |
(724) protinus exarsit nec tempora distulit irae horriferamque oculis animoque obiecit Erinyn paelicis Argolicae stimulosque in pectore caecos condidit et profugam per totum exercuit orbem. | (724) Sofort entbrannte sie in Zorn und verschwendete keine Zeit, stellte der Rivalin aus Argolis die schreckliche Erinnye vor Augen und Gemüt, barg blinde Wut im Herzen und scheuchte die Flüchtige über die ganze Erde. |
(728) ultimus inmenso restabas, Nile, labori; quem simulac tetigit, positisque in margine ripae procubuit genibus resupinoque ardua collo, quos potuit solos, tollens ad sidera vultus et gemitu et lacrimis et luctisono mugitu cum Iove visa queri finemque orare malorum. coniugis ille suae conplexus colla lacertis, finiat ut poenas tandem, rogat ‘in’ que ‘futurum pone metus’ inquit: ‘numquam tibi causa doloris haec erit,’ et Stygias iubet hoc audire paludes. | (728) Als letzter bliebst Du, Nil, als unermessliche Mühe (inmenso labori=Dativus finalis) übrig; sobald sie ihn erreichte, kniete sie sich hin, die Knie am Rand des Ufers, den Hals zurückgebogen – das allein konnte sie tun – und das Antlitz zu den Sternen hoch oben richtend schien sie mit Jupiter unter Seufzen und Tränen und traurigem Muhen zu hadern und um ein Ende der Leiden zu flehen. Der umfasst den Hals seiner Gattin mit den Armen und bittet sie, die Bestrafung endlich zu beenden und sagt: Lege die Furcht in Zukunft ab, jene (Io) wird dir niemals mehr Schmerz bereiten, und er befiehlt den stygischen Gewässern, dies zu vernehmen (als Zeugen für den Eid). |
(738) Ut lenita dea est, vultus capit illa priores fitque, quod ante fuit: fugiunt e corpore saetae, cornua decrescunt, fit luminis artior orbis, contrahitur rictus, redeunt umerique manusque, ungulaque in quinos dilapsa absumitur ungues: de bove nil superest formae nisi candor in illa. officioque pedum nymphe contenta duorum erigitur metuitque loqui, ne more iuvencae mugiat, et timide verba intermissa retemptat. | (738) Sowie die Göttin besänftigt ist, nimmt jene ihr früheres Aussehen an und wird, was sie vorher gewesen: die Fellhaare fallen vom Körper ab, die Hörner schrumpfen, das Auge (orbis luminis) wird kleiner, das Maul zieht sich zusammen, Schultern und Hände kehren zurück, der Huf löst sich auf und wird für je fünf Zehennägel verbraucht; nichts an Gestalt von einer Kuh bleibt in ihr übrig bis auf den hellen Glanz; die Nymphe richtet sich auf, zufrieden damit, daß ihr nur zwei Füße zur Verfügung stehen, doch sie fürchtet sich zu reden, daß sie nicht etwa wie eine junge Kuh muht, und versucht sich zaghaft wieder an unterbrochenen Worten. |
(747) Nunc dea linigera colitur celeberrima turba. huic Epaphus magni genitus de semine tandem creditur esse Iovis perque urbes iuncta parenti templa tenet. | (747) Jetzt wird sie als hochberühmte Göttin von einer Schar in Leinengewändern verehrt; jetzt glaubt man endlich, dass Epaphus (Sohn der Io, auch Sarapis genannt) vom Samen des großen Jupiter stammt. Zusammen mit seiner Mutter beherrscht er Tempel in den Städten. |
Kapitelübersicht
- Metamorphosen
- Ovid: Metamorphosen 1-4
- Ovid: Metamorphosen 5-20
- Ovid: Metamorphosen 21-42
- Ovid: Metamorphosen 43-68
- Ovid: Metamorphosen 69-88
- Ovid: Metamorphosen 89-112
- Ovid: Metamorphosen 113-124
- Ovid: Metamorphosen 125-126
- Ovid: Metamorphosen 127-150
- Ovid: Metamorphosen 151-162
- Ovid: Metamorphosen 163-208
- Ovid: Metamorphosen 209-239
- Ovid: Metamorphosen 240-252
- Ovid: Metamorphosen 253-312
- Ovid: Metamorphosen 313-415
- Ovid: Metamorphosen 416-433
- Ovid: Metamorphosen 434-451
- Ovid: Metamorphosen 452-567
- Ovid: Metamorphosen 568-688
- Ovid: Metamorphosen 689-712
- Ovid: Metamorphosen 713-750
- Ovid: Metamorphosen 750-779