Ovid, Buch II: Metamorphosen 596-632 (Deutsche Übersetzung) – Apollo und Coronis II
Lateinischer Text | Übersetzung |
(596) Talia dicenti ‘tibi’ ait ‘revocamina’ corvus ‘sint, precor, ista malo: nos vanum spernimus omen.’ nec coeptum dimittit iter dominoque iacentem cum iuvene Haemonio vidisse Coronida narrat. laurea delapsa est audito crimine amantis, et pariter vultusque deo plectrumque colorque excidit, utque animus tumida fervebat ab ira, arma adsueta capit flexumque a cornibus arcum tendit et illa suo totiens cum pectore iuncta indevitato traiecit pectora telo. | (596) Zu ihr, die solches sprach, sagte der Rabe: Mögen deine Versuche, mich zurückzuhalten, dir schlecht bekommen, wir pfeifen auf ein falsches Vorzeichen. Er gibt den eingeschlagenen Weg nicht auf und berichtet seinem Herrn, dass er Coronis bei einem Jüngling aus Haemonien (Thessalien) hat liegen sehen. Nachdem er diese Schandtat vernommen hatte, entglitt dem Liebenden der Lorbeerkranz und dem Gott gingen gleichzeitig die Züge und die Farbe des Gesichtes wie das Plektrum verloren. Wie ihm das Herz vom anschwellenden Zorn in Brand geriet, ergriff er die gewohnten Waffen, spannte den von den Enden aus gekrümmten Bogen und durchbohrte jene Brust, die so oft an der seinen lehnte, mit dem unfehlbaren Geschoß. |
(606) icta dedit gemitum tractoque a corpore ferro candida puniceo perfudit membra cruore et dixit: ‘potui poenas tibi, Phoebe, dedisse, sed peperisse prius; duo nunc moriemur in una.’ hactenus, et pariter vitam cum sanguine fudit; corpus inane animae frigus letale secutum est. | (606) Die Getroffene stieß einen Seufzer aus. Nachdem das Eisen aus der Wunde gezogen war, färbte sie ihre weißen Glieder mit rotem Blut und sprach: Ich hätte die Strafe bezahlen können, Phoebus, hätte aber erst geboren. Nun sterben wir zu zweit in dieser einen. Bis dahin sprach sie. Nun entwich mit dem Blut zugleich das Leben und tödliche Kälte kam über den Körper, der für die Seele nutzlos geworden war. |
(612) Paenitet heu! sero poenae crudelis amantem, seque, quod audierit, quod sic exarserit, odit; odit avem, per quam crimen causamque dolendi scire coactus erat, nec non arcumque manumque odit cumque manu temeraria tela sagittas conlapsamque fovet seraque ope vincere fata nititur et medicas exercet inaniter artes. | (612) Weh, zu spät reut den Liebenden die grausame Strafe und er hasst sich dafür, dass er (die Anschuldigung) gehört hat und dass er so in Zorn geraten ist. Er hasst den Vogel, durch den er gezwungen war, die Schandtat und die Ursache für seinen Schmerz zu erfahren, er hasst nicht zuletzt den Bogen und seine Hand und die Geschosse von unbedachter Hand, die Pfeile. Er wärmt die Reglose und müht sich, mit seiner zu spät angewandten Macht das Schicksal zu zwingen und übt vergebens seine Heilkünste. |
(619) quae postquam frustra temptata rogumque parari vidit et arsuros supremis ignibus artus, tum vero gemitus (neque enim caelestia tingui ora licet lacrimis) alto de corde petitos edidit, haud aliter quam cum spectante iuvenca lactentis vituli dextra libratus ab aure tempora discussit claro cava malleus ictu. | (619) Als er merkte, dass seine Versuche vergeblich waren und man bereits den Scheiterhaufen vorbereitete, um die Glieder mit himmlischem Feuer zu verbrennen, da schließlich stieß er aus tiefster Brust hervorgeholte Seufzer aus (denn ein göttliches Antlitz darf nicht von Tränen benetzt werden), nicht anders, als wenn der vom rechten Ohr aus geschwungene Hammer unter den Augen einer jungen Kuh die nach innen gewölbten Schläfen eines saugenden Kälbchens mit hellem Schlag zertrümmert. |
(626) ut tamen ingratos in pectora fudit odores et dedit amplexus iniustaque iusta peregit, non tulit in cineres labi sua Phoebus eosdem semina, sed natum flammis uteroque parentis eripuit geminique tulit Chironis in antrum, sperantemque sibi non falsae praemia linguae inter aves albas vetuit consistere corvum. | (626) Sobald er jedoch unwillkommene Wohlgerüche über ihre Brust gegossen hatte und sie umarmt und Unrecht zu Recht vollendet, duldete er nicht, dass sein Same in derselben Asche aufgenommen würde. Er riss sein Kind (Äskulap) aus den Flammen und aus dem Leib der Mutter und brachte es in die Höhle des zwiegestaltigen Chiron (heilkundiger Zentaur). Dem Raben aber, der auf eine Belohnung hoffte, weil er nicht mit falscher Zunge gesprochen hatte, verwehrte er, (weiterhin) zu den weißen Vögeln zu gehören. |
Kapitelübersicht
- Metamorphosen II
- Ovid: Metamorphosen II: 1-149
- Ovid: Metamorphosen II: 150-300
- Ovid: Metamorphosen II: 301-400
- Ovid: Metamorphosen II: 401-532
- Ovid: Metamorphosen II: 533-549
- Ovid: Metamorphosen II: 550-595
- Ovid: Metamorphosen II: 596-632
- Ovid: Metamorphosen II: 633-675
- Ovid: Metamorphosen II: 676-707
- Ovid: Metamorphosen II: 708-832
- Ovid: Metamorphosen II: 833-875